Die Ausrede des Kenners: „Das wollen unsere Kunden nicht!“

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„Das wollen unsere Kunden nicht!“

Wohl dem, der seine Kunden kennt und voller Zuversicht sagen kann: „Das wollen unsere Kunden nicht!“. Oder (freilich noch besser) „Das werden unsere Kunden lieben!“

Nun ist es immer leichter Gründe gegen etwas zu finden als Gründe für etwas zu finden. Der Fokus von Menschen liegt üblicherweise auf den negativen Aspekten von potenziellen Projekten; auf den Dingen, die schief gehen können. Das heißt, Menschen kaprizieren sich eher auf Probleme als auf Lösungen.

Das wiederum bedeutet, dass der Satz „Das wollen unsere Kunden nicht!“ sehr häufig gesagt wird. Der andere Satz: „Das werden unsere Kunden lieben!“ wird hingegen nur sehr selten genutzt. Das macht auch Sinn, denn es gibt sehr viel mehr potenzielle Dinge, die Menschen nicht kaufen würden als es Dinge gibt, die Menschen kaufen – oder gar „lieben“ – würden!

Dennoch: Der eine wie auch der andere Satz sind hochgradig gefährlich. Weil wir uns aber in dieser Serie mit den beliebtesten und häufigsten Ausreden beschäftigen, liegt unsere Aufmerksamkeit auf dem ersten Satz: „Das wollen unsere Kunden nicht!“.

 

Warum sind solche Sätze wichtig und was sagen sie aus?

Welche Relevanz hat dieser Satz für den Unternehmenserfolg? Warum sollte man sich mit diesem Satz näher beschäftigen? Dafür gibt es mehrere Gründe. Einige Gründe sind offensichtlich, andere weniger. Wie so häufig ist es allerdings so, dass die offensichtlichen Gründe nicht zwangsläufig die wichtigen Gründe sind. Genauso wenig sind die weniger offensichtlichen Gründe unwichtig. Beginnen wir dennoch beim Offensichtlichen.

Welche offensichtlichen Gründe könnte es geben, sich mit dieser Ausrede zu beschäftigen? Es gibt mindestens drei:

  1. Der Satz ist unbestreitbar eine Ausrede, sonst nichts.
  2. Er vermittelt eine ganz bestimmte, unbestreitbare Haltung des Sprechers.
  3. Seine Aussage wirkt kurzfristig, aber langanhaltend geschäftsschädigend.

 

Gehen wir systematisch vor…

Betrachten wir das Ganze nacheinander und starten mit dem erstgenannten Punkt. Denn: Lediglich zu behaupten, dieser Satz sei eine Ausrede, macht den Satz nicht automatisch zu einer Ausrede. Es gehört schon mehr dazu. Erst der eigentliche Zweck eines bestimmten Satzes macht ihn zur Ausrede. Typische Zwecke von typischen Ausreden sind bspw. folgende:

  1. Verringerung von Arbeitseinsatz
  2. Steigerung der Anerkennung für geleistete Arbeit
  3. vorgebliche Strukturierung von Prozessen
  4. Anwendung von heuristischen Denkmustern

 

Alles nur Schall und Rauch

Doch diese Zwecke sind alle nur vordergründig. In Wahrheit verfolgen Ausreden einen anderen, dahinterliegenden Zweck und der ist immer gleich – egal wo, wann und wie: Es geht um die Schaffung eines persönlichen Vorteils. Und zwar eines persönlichen Vorteils für denjenigen, der diese Ausrede einbringt. Anhand der Beispiele zeigt sich das so:

  1. Verringerung von Arbeitseinsatz, um das Verhältnis von Einsatz und Ertrag in ein (zumindest kurzfristig) besseres Verhältnis zu bringen („Das lohnt sich nicht, ich widme meine Zeit lieber erfolgversprechenderen Projekten.“)
  2. Steigerung der Anerkennung für geleistete Arbeit, um daraus einen Vorteil für die Zukunft gegenüber anderen Menschen zu gewinnen („Das war eine gewaltige Arbeit für mich, aber der Erfolg spricht für sich.“)
  3. vorgebliche Strukturierung von Prozessen, um seine eigene Unfähigkeit zur Ein- und Ausführung bestimmter Strukturen und Prozesse zu verbergen („Wenn wir das auf diese Art und Weise machen, kann es nur schiefgehen.“)
  4. Anwendung von heuristischen Denkmustern, um in komplexen Umfeldern vereinfachende Lösungen als zielführend darzustellen („Das hat bei Projekt A schon prima geklappt, das machen wir jetzt bei Projekt B einfach nochmal.“)

 

Der persönliche Vorteil ist der eigentliche Zweck einer Ausrede

Wenn nun also der persönliche Vorteil der Zweck von Ausreden ist und der Satz „Das wollen unsere Kunden nicht!“ eine Ausrede ist: Was folgt daraus? Es folgt daraus, dass die Ausrede „Das wollen unsere Kunden nicht!“ demjenigen, der diese Ausrede einbringt, einen persönlichen Vorteil verschaffen soll. Sie muss es nicht tatsächlich tun, aber sie soll es tun. Denn – glücklicherweise – verwirklicht sich ein Zweck nicht automatisch. Manchmal verfehlen Ausreden ihren Zweck. Am ehesten dann, wenn jemand eine Ausrede als solche durchschaut. Aber das ist manchmal nicht so einfach. Insbesondere Hierarchiegefälle und mangelnde Fehlerkultur machen das teils sehr schwierig. Gratifikations- und Sanktionskultur spielen ebenso sehr eine Rolle.

Nichtsdestotrotz können wir sicher sein, dass es sich bei dem Satz „Das wollen unsere Kunden nicht!“ um eine Ausrede – und sonst nichts – handelt.

 

Was ist die Haltung hinter dieser Ausrede?

Gehen wir von hier aus weiter und widmen wir uns der Haltung hinter der Ausrede. Denn: Jeder Satz, den ein Mensch sagt, lässt schließlich Rückschlüsse auf ihn als Sprecher zu. Rückschlüsse sowohl auf seine Motive und Ziele, aber eben auch auf seine Werte und Haltungen. Wo allerdings Motive und Ziele teils sehr fluid sind, d.h. sich im Laufe der Zeit auch ohne aktiven Willen ändern, sind Werte und Haltungen meist stabil. Ohne eine willentliche Anstrengung, Aufmerksamkeit, Training und Kontrolle lassen sie sich kaum ändern. Vor allem lassen sie sich kaum dauerhaft ändern. Das macht wiederum die Offenlegung von Werten und Haltungen umso wertvoller – und deshalb kommt es hier darauf an, sie offenzulegen.

In welchem Zusammenhang stehen nun allerdings der angestrebte Zweck – die Erlangung eines persönlichen Vorteils – und die Haltung des Sprechers? Hier ist ein breites Interpretationsspektrum denkbar, weshalb wir uns auf das Wichtigste beschränken. Das sind in dem Falle drei Dinge:

  1. Die Haltung des Sprechers zu sich selbst
  2. die Haltung des Sprechers zu seinem Zuhörer und
  3. seine Haltung gegenüber dem Gegenstand seiner Aussage.

 

Welche Haltung hat der Sprecher sich selbst gegenüber?

Es wird sofort deutlich, dass die Haltung des Sprechers sich selbst gegenüber geprägt ist vom nahezu unbändigen Willen nach Eindeutigkeit. Denn schließlich sagt er: „Das wollen unsere Kunden nicht!“. Er sagt nicht etwa „Das wollen vermutlich nur wenige unserer Kunden“ oder gar „Ich bin mir nicht sicher, ob unsere – und wenn ja, welche – Kunden das wollen könnten.“ Eine etwaige Abwägung von Perspektiven und Interessen findet nicht statt, Komplexitätsreduktion zur Erreichung von Eindeutig dominieren diesen Satz.

Mittels seiner Aussage reduziert der Sprecher somit (bildlich gesprochen) das gesamte Spektrum der Farben auf Schwarz und Weiß. Andere Farben oder Zwischentöne sind unerwünscht, weil sie als lähmend statt bereichernd wahrgenommen werden. Schließlich bedeutet Uneindeutigkeit für diese Menschen immer Zeitverschwendung. Und deren Ursache wiederum ist vermeintlich Entscheidungsschwäche. Und genau das können sich diese Menschen nicht leisten: als entscheidungsschwach zu gelten.

Solche Menschen haben typischerweise auch eine ganze Menge ungeeigneter Glaubenssätze im Gepäck. Sätze wie: „Ein Chef muss Entscheidungen treffen“, „Wir müssen Nägel mit Köpfen machen“ und ähnliches. Solche Menschen sind also klassische Entscheider: So sehen sie sich selbst. So möchten sie gesehen werden. Und in aller Regel wurden sie auch genau dafür eingestellt: Um zu entscheiden. Aber trotzdem gilt: Aus Falschem folgt Falsches.

 

Wie verhält sich der Sprecher dem Zuhörer gegenüber?

Die Haltung des Sprechers zu seinem Zuhörer ist ebenso eindeutig auszumachen. Es geht hier nicht um ein konstruktives Nebeneinander von mehreren, potenziell erfolgversprechenden Wegen, sondern um ein Übereinander von Meinungen. Sätze, die mit solcher Absolutheit geäußert werden, deuten in der Regel auf ein entsprechendes dahinterstehendes Mindset hin.

Vergegenwärtigen wir uns zudem die Situation, in der ein Satz wie „Das wollen unsere Kunden nicht!“ überhaupt geäußert werden könnte. Welche wären das? Wahrscheinlich und plausibel ist hier – in allen denkbaren Variationen – ein Produktpitch oder eine Dummypräsentation der Entwicklungsabteilung. Solche oder ähnliche Situationen gibt es in Unternehmen jeden Tag mit ganz unterschiedlichen Tragweiten.

Was für Produkte werden hier nun klassischerweise vorgestellt? Ganz genau: Produkte, von denen zumindest einige Mitarbeiter überzeugt sind, dass einige Kunden sie wollen könnten. Kein Mitarbeiter, der ernsthaft bei Trost ist, würde Produktideen oder -dummies vorstellen, ohne sich im Vorfeld Gedanken darüber gemacht zu haben, ob Kunden ein tatsächliches Interesse daran haben könnten. Diese Feststellung mag banal klingen, hat aber enorme Auswirkungen.

Das bedeutet natürlich nicht, dass es die beste aller möglichen Ideen oder das beste aller möglichen Produkte sein müssen. Aber es bedeutet, dass diese Ideen und Produkte nicht als schwarz oder weiß zu bewerten sind, sondern mindestens als grau. Nun suggeriert aber der Satz „Das wollen unsere Kunden nicht!“ genau das: Nämlich, dass es keine Zwischentöne gäbe und sich jede Idee sowie jedes Produkt einem der beiden Pole – schwarz oder weiß – zuordnen ließe. Zugleich suggeriert der Satz, dass es Aufgabe des Sprechers wäre, diese Zuordnung möglichst schnell und abschließend vorzunehmen. Das ist natürlich vollkommener Blödsinn und jeder, der auch nur eine Sekunde darüber nachdenkt, weiß das. Trotzdem ist es in vielen Unternehmen jeden Tag der status quo der Entscheidungsfindungspraxis.

 

Warum verhält sich der Sprecher so gegenüber dem Gegenstand seiner Aussage?

Kommen wir nun zum dritten Punkt: Welche Haltung nimmt der Sprecher gegenüber dem Gegenstand seiner Aussage ein? Wie positioniert sich der Sprecher also gegenüber den eigenen („unseren“) Kunden? Auch hier kommt der Sprecher des Satzes nicht gut weg… Warum?

Weil er einen gravierenden Mangel an Kundenbewusstsein und Differenzierungsfähigkeit erkennen lässt. Indem er schließlich sagt, Kunden würden bestimmte Dinge nicht wollen, unterstellt er gleichzeitig, dass die eigenen Kunden nicht in der Lage sind, den Nutzen des Produkts zu erkennen. Hier tritt eine ausgeprägte Geringschätzung gegenüber den eigenen Kunden unverhohlen zutage. Nicht zuletzt wird dem Kunden bereits im Vorfeld einer potenziellen Kaufentscheidung die Mündigkeit zur eigenen Entscheidungsfindung abgesprochen.

 

Die Ersetzungsfrage oder: Was wird hier eigentlich beantwortet?

Außerdem ist dies ein Paradebeispiel für Ersetzungsfragen, die wir an anderer Stelle schon ausführlicher thematisiert haben. Erfahrungsgemäß ist es so: Jemand, der behauptet, andere Menschen würden bestimmte Dinge nicht wollen, beantwortet lediglich die ungestellte Frage, ob er selbst dieses bestimmte Ding wollen würde. Aber keine Frage ist unwichtiger als diese Frage. Es ist vollkommen irrelevant, ob ein Entscheider ein Produkt oder eine Idee gut findet. Relevant ist lediglich, ob potenzielle Kunden dies tun würden. Diese Frage wird aber nur scheinbar beantwortet, auch wenn es auf den ersten Blick so scheint.

Das alles bedeutet nicht, dass es keine Konstellationen gibt, in denen Entscheider oder Mitarbeiter mit Sicherheit sagen können, dass deren Kunden bestimmte Produkte nicht kaufen würden. Diese Konstellationen gibt es. Aber für eine solchen Befund braucht es keine haltlose Bauchentscheidung – dazu noch getroffen aus falschen Motiven führen – sondern einen gegenstandsangemessenen, konstruktiven Entscheidungsprozess.

 

Was steht nun aber wirklich dahinter, warum tut jemand so etwas?

Was hat das Ganze nun aber mit dem Charakter einer Ausrede zu tun; einer Ausrede in dem Sinne, dass sie dem Sprecher einen persönlichen Vorteil bietet? Welchen persönlichen Vorteil könnte der Sprecher aus dieser Ausrede ziehen? Und warum fühlt er sich genötigt, seinen persönlichen Vorteil mittels einer Ausrede erreichen zu müssen? Denn ihm stünde ja ein ganzes Arsenal von anderen Möglichkeiten zur Verfügung, allem voran ehrliche Arbeit statt deren Unterminierung?

Die Gründe dafür sind wie so oft weniger beim Entscheider zu suchen als vielmehr im Unternehmen. Vor allem in seiner Unternehmensorganisation und – am wichtigsten – seiner Unternehmenskultur. Denn: Egal, wie gut jemand ist, er kann nicht dauerhaft besser sein als die Unternehmenskultur es zulässt. Es ist schlichtweg nicht möglich, dauerhaft gegen eine etablierte und unhinterfragte Unternehmenskultur anzuarbeiten. Und diese Unternehmenskultur verlangt in den meisten Fällen schnelle, absolute Entscheidungen – es soll keine Zeit „verschwendet“ werden. Dabei ist es eigentlich nicht die Aufgabe des Sprechers, „die ganze Sache abzukürzen“, sondern sie zu einem erfolgreichen Ende zu führen. Die Unternehmenskultur steht somit an dieser Stelle den Unternehmenszielen diametral entgegen. Daraus kann nur beidseitiger Frust und Unsicherheit entstehen.

 

Diese Ausrede ist ein Zeichen für eine negative Unternehmenskultur

Was hat das wiederum mit der Ausrede „Unsere Kunden wollen das nicht!“ und dem persönlichen Vorteil des Sprechers zu tun?  Es ist recht simpel: In einer Umgebung, die das persönliche Fortkommen leichter erreichbar macht und es stärker belohnt als das kollektive Fortkommen ist der persönliche Vorteil die beste Rückversicherung für den eigenen Aufstieg. In einer entsprechend unsicheren Umgebung – und genau damit haben wir es in einem solchen Szenario zu tun – braucht es diese Rückversicherung. Es gibt schließlich nicht viel zu gewinnen, dafür aber umso mehr zu verlieren.

Es geht somit für den Sprecher nicht darum, gegen die vorherrschende Unternehmenskultur anzukämpfen, sondern sie stattdessen zu seinem eigenen Vorankommen zu nutzen. Dies liegt aber daran, dass es anders nicht geht. Und weil es nicht anders geht, will er es offenbar auch nicht mehr anders. Aus Falschem folgt Falsches… So richtet sich der Sprecher entsprechend in seiner Umwelt ein. Das Ergebnis sind nicht solche Sätze (die sind lediglich ein Symptom), sondern das Ergebnis sind solche Mindsets.

 

 

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