Das Reden ist immer Ausdruck des Denkens
Jeder Mensch hat eine kleine (mentale) Schublade mit Weisheiten, Aussprüchen und Sprichwörtern, die sein Denken maßgeblich prägen. Es ist aber ein Irrtum zu glauben, diese Sätze würden unser Denken tatsächlich formen. Das ist schlichtweg nicht der Fall.
Vielmehr sind solche Sätze wie eine passende Schablone, durch die unser Denken und unsere Gedanken hindurchpassen, ohne anzuecken. Diese Sätze, die so vermeintlich pointiert das hervorheben, was wir ohnehin schon dachten und wussten, bleiben uns über lange Zeiträume hinweg präsent. Solche Sätze konkretisieren gewissermaßen etwas ganz und gar Abstraktes. Unsere Innenperspektive wird dabei durch eine bestätigende Außenperspektive ergänzt. Zuletzt offenbart sich uns in den erinnerten Aussprüchen und Sprichwörtern die Quintessenz der Welt, in der wir leben.
Sprichwörter konstruieren Sinn und geben Orientierung. Wenn Sie bspw. das geflügelte Wort „Der frühe Vogel fängt den Wurm“ aussprechen und jemand in Ihrer Gegenwart, nehmen wir einen Auszubildenden, hinzusetzt: „Aber die zweite Maus fängt den Käse.“, dann sagt das etwas über Sie und Ihr Gegenüber aus. Es sagt etwas über Ihre Arbeitseinstellung, Ihre Erwartungshaltung und Ihre Bewertungsmaßstäbe aus, letztlich also über Ihr (Selbst-)Bewusstsein, mit dem Sie der Welt gegenübertreten. Sie formulieren Glaubenssätze.
In der Summe entlarven Sinnsprüche auch Glaubenssätze
Nein, man sollte einzelne Äußerungen – weder die eigenen, noch die von Mitmenschen – nicht überbewerten, das ist klar. Aber es geht auch nicht um Einzeläußerungen, sondern um Muster. Wenn nämlich jemand sagt, „Der frühe Vogel fängt den Wurm“, dann können Sie nahezu sicher sein, dass er noch andere Weisheiten, Aussprüche und Sprichworte parat hat, hinter denen ähnliche Glaubenssätze zu seinem Arbeitsethos stehen. Klassiker sind hier: „Ohne Fleiß kein Preis“ oder – noch schrecklicher – „Lehrjahre sind keine Herrenjahre“. Diese Äußerungen fügen sich dann doch zu einem bewertbaren Bild zusammen, es zeigen sich deutliche Leitlinien.
Ausnahmslos alle Menschen haben solche Glaubenssätze. Sie wirken stabil und schlüssig. Aber in Wirklichkeit sind sie fragile Momentaufnahmen. Genauso, wie die meisten Glaubenssätze auf zwei bis drei starken Erinnerungen oder Bildern beruhen, brauchen Sie nicht mehr als zwei oder drei Gegenbeispiele, um dieselben Glaubenssätze zu entkräften, loszuwerden und durch neue zu ersetzen.
Glaubenssätze und ihre Folgen für Unternehmer und Unternehmen
Warum sage ich Ihnen das? Weil ausnahmslos alle Unternehmer, mit denen ich zusammengearbeitet habe,
- nicht von sich aus an die Existenz von handlungsleitenden Glaubenssätzen glauben,
- sie die einmal identifizierten Glaubenssätze für nützlich und unveränderlich halten und
- dieselben Glaubenssätze in nahezu jedem Fall die Ursache ihrer unternehmerischen, letztlich auch privaten Probleme waren.
Sie sind die Ursache, nicht die Wirkung… Wie Jochen Röpke zum lernenden Unternehmer sagt: „Ein statisches Ich ist das Haupthindernis bei der Verwirklichung unternehmerischen Potenzials.“
Es geht bei meiner Arbeit und der Betrachtung von Glaubenssätzen nicht um eine Bewertung dieser Glaubenssätze: Es gibt kein „richtig“ und kein „falsch“. Was es allerdings gibt sind „produktive“ und „unproduktive“ Glaubenssätze. Produktive Glaubenssätze führen Sie zu Handlungen, die Sie Ihren Zielen näher bringen. Unproduktive Glaubenssätze halten Sie hingegen von zielgerichteten Handlungen ab. Wenn somit ein Unternehmer sagt: „Ohne Fleiß kein Preis“, aber das Ziel hat, jeden Tag mit seiner Familie gemeinsam zu Abend zu essen, gibt es einen Widerspruch. Der Glaubenssatz ist offensichtlich unproduktiv. Für Außenstehende ist das vollkommen klar. Trotzdem ist es dem betreffenden Unternehmer unmöglich, diesen Widerspruch zu erkennen oder später selbständig – ohne Implementierung eines neuen Glaubenssatzes – aufzulösen.
Glaubenssätze sind die Grundlage des Handelns
Hinzu kommt ein weitreichendes Problem. Weil Glaubenssätze Ausdruck bestimmter bewusster oder unbewusster Denkweisen sind, die wiederum in entsprechenden Sinnsprüchen ihren Ausdruck finden, orientieren Sie sich in Ihren Handlungen bewusst oder unbewusst an Ihren eigenen Glaubenssätzen. Je nachdem, welche Glaubenssätze für Sie maßgeblich sind, handeln Sie diesen entsprechend.
Auch hier gilt wieder: Das Handeln nach Glaubenssätzen kann hinderlich oder hilfreich sein. Angenommen, Sie sagen: „Ohne Fleiß kein Preis“, dann ergibt sich daraus ein breites Spektrum möglicher Handlungen. Auf der einen Seite steht ein zeitweilig erhöhter Arbeitseinsatz mit sozialverträglicher Überstundenabgeltung. Auf der anderen Seite kann Sie dieser Glaubenssatz zu einem strikten Vertreter der Präsenzkultur machen, der jeden Ansatz zur Effizienzsteigerung im Keim erstickt.
Schlimmstenfalls – und das ist weitaus häufiger als man denkt – führen Glaubensätze, die in Konflikt mit Ihren Zielen stehen zu unterschwelliger, aber sehr wirksamer Selbstsabotage. Unternehmer, die bspw. einerseits behaupten, Geld verderbe den Charakter und andererseits ergänzen, Macht hätte etwas Kompromittierendes, tun im Zuge ihrer Selbstsabotage alles Erdenkliche, um diese Glaubensätze in Handlungen zu überführen und deren Konsequenzen gleichzeitig nicht durchleben zu müssen: Sie bauen – mehr schlecht als recht, mehr unbewusst als bewusst – Unternehmen auf, die nicht genügend Gewinn abwerfen und richten sich außerdem so darin ein, das sie keine Handlungsmacht besitzen.
Die gleichen Unternehmer beschweren sich aber angesichts ihrer Ziele, namentlich höheren Geschäftsgewinn und mehr Handlungsspielraum, lautstark darüber, dass sie genau diese Ziele nicht erreichen. Sie verdienen zu wenig und die Mitarbeiter tanzen ihnen auf der Nase herum. Ein solche Inkongruenz zwischen Glaubenssätzen und Zielen mündet zuverlässig in langanhaltende persönliche, aber auch professionelle Unzufriedenheit.
Besonders negative Ausprägung von Glaubenssätzen in der Buchbranche
Glaubenssätze führen aber noch sehr viel weiter und haben noch sehr viel weitreichendere Folgen, gerade für die Buchbranche. Im Buchhandel sind ungemein viele, dabei aber ungemein limitierende und destruktive Glaubenssätze anzutreffen. Aus meiner Sicht als Strategieberater sind sie alle etwa ähnlich häufig, aber einige sind schlimmer als andere. Nichtsdestoweniger sind sie alle Evergreens, d.h. emotionalisierend, eingänglich, einleuchtend.
- „Das geht nicht, weil…“
- „Unternehmensberatung brauchen wir nicht.“
- „Wir verkaufen Bücher.“
- „Wir kennen unsere Kunden.“/„Der Leser kauft das nicht.“
- „Das hat bisher immer ganz gut funktioniert.“
Was ist an diesen Glaubenssätzen so schlimm? Jeder einzelne davon macht Fortschritt unmöglich. Während der erste Glaubenssatz Passivität zum handlungsleitenden Element kürt, zeugt der zweite von Verweigerung gegenüber externen Impulsen. Während der dritte Satz für eine unreflektiert verengte Fokussierung auf Produkte spricht, spricht der vierte dem Kunden in gönnerhafter Manier Autonomie und Entdeckungslust ab. Der fünfte Satz ist schließlich Ausdruck des initiativlosen Verwalters. Es ist die Lust an der unternehmerischen Ohnmacht, die aus diesen Sätzen spricht.
Wenn man im Gegenzug fragt, welche persönlichen und unternehmerischen Vorbilder dieselben Buchhändler haben wird es interessant. Diese sind durchweg aktiv steuernd, impulsoffen und Neues als Chance begreifend. Hinzu kommt die absolute Verpflichtung zum Kundennutzen und der Fokus auf die Zukunft, nicht die Vergangenheit.
Kein erfolgreiches Unternehmen, d.h. kein Unternehmen, das seinem Inhaber und dessen Mitarbeitern ein vernünftiges Auskommen ermöglicht, seine Kunden zufriedenstellt und nicht wenigstens eine lokale Marktführerschaft hat, ist durch Passivität und Verschlossenheit, Engführung der eigenen Perspektive und Überordnung über den Kunden, vor allem aber nicht durch die reine Verwaltung des Ist-Zustandes zum Erfolg gekommen. Es wird ihn so auch nicht halten können.
Herr Kannnicht wohnt meistens in der Willnichtstraße…
Auch wenn die Größe des eigenen Unternehmens immer wieder als Ausrede angeführt wird, gilt der Befund für große Tech-Konzerne ebenso wie für spezialisierte Lokalbetriebe. Wenn man für eine strategische Neuausrichtung des eigenen Unternehmens keine Ressourcen investieren möchte – eben weil man diese Ressourcen nicht hätte – dann muss man sich mindestens fragen, ob man nicht genau wegen dieses und der unter 1. bis 5. genannten Glaubenssätze überhaupt erst an diesen Punkt gekommen ist. Denn Ursache und Wirkung werden gemeinhin gern vertauscht. Erfolge werden dem eigenen Tun zugeschrieben, Misserfolge dem nicht zu beeinflussenden Wirken unbekannter Mächte.
Deshalb: Überprüfen Sie, ob intern oder extern, unvoreingenommen Ihre eigenen Glaubenssätze, denn sie sind bewusst oder unbewusst die Grundlage Ihres unternehmerischen Denkens und Handelns. Prüfen Sie vor allem regelmäßig, ob Glaubenssätze und Ziele nicht in Konflikt zueinander stehen, denn das ist häufig der Fall und letztendlich lähmend, frustrierend und demotivierend. Für solche eine Art der Arbeit ist man aber schließlich nicht Unternehmer geworden!
Dieser Beitrag erschien in abgewandelter Form im BuchMarkt Magazin, Ausgabe 8/2020.
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