Warum die meisten Unternehmer Ziele falsch verstehen…
Wenn man Unternehmer nach ihren Zielen fragt, erntet man häufig staunende Blicke. Diese Blicke verraten meist zwei Dinge: zuerst Überraschung, kurz darauf gefolgt von Sorge. Die Befragten sind in der Regel allerdings weniger erstaunt über die Frage selbst. Was sie vielmehr erstaunt als die Frage ist etwas anderes. Nämlich: Wie schwer es ihnen fällt diese Frage zu beantworten. Vor allem aber sind die Unternehmer – wenn sie sich fragen, warum es ihnen so schwer fällt diese Frage zu beantworten – erstaunt, dass sie sich bisher schlichtweg keine konkreten Gedanken über ihre eigenen Ziele gemacht haben. Das ist dann der Augenblick, in dem die Überraschung der Sorge weicht. Wer aber bei der Frage nach den eigenen Zielen ein sorgenvolles Gesicht zieht, der hat ein Problem. Nicht mit seinem Gesicht, sondern mit seiner Zukunft. Weil schließlich die Antwort eine Konkretisierung der eigenen Zukunft erfordert!
Aus Falschem folgt falsches
Was aber ist das eigentliche Problem? Wie ich schon einmal an früherer Stelle beschrieben habe, neigen Menschen bei der Beantwortung komplexer Fragen dazu, die gestellten Fragen abzuwandeln und zu vereinfachen, um dann die abgewandelten, vereinfachten Fragen zu beantworten. Das passiert hier auch. Wenn es also um die Frage nach den eigenen, konkreten Zielen geht, man sich aber bisher damit nicht beschäftigt hat, beantwortet man stattdessen die Frage nach der eigenen, abstrakten Zukunft. Wenn aber bereits die Gegenwart problembehaftet ist und außerdem keine Besserung in Sicht ist, man also letztlich bereits heute Sorgen hat… Was tut man dann? Dann beantwortet man einfach die Frage danach, wie man sich fühlt, wenn man an die eigene Zukunft denkt.
Und welche Überraschung: Man ist besorgt, wenn man an die eigene Zukunft denkt. Das eigentliche Problem ist somit folgende Argumentation. Wenn von der Gegenwart auf die Zukunft geschlossen wird und es in der Gegenwart nicht gut läuft, macht es keinen Sinn sich Ziele für die Zukunft zu setzen. Eben weil diese Ziele aufgrund der schlechten Ausgangsposition ohnehin nicht erreicht werden können. Passivität in Reinkultur.
Im drei Schritten zum problematischen Mindset
Wo genau lässt sich dieses Problem lokalisieren: Wo kommt es her und wo ist es? Es kommt aus dem Mindset des Unternehmers und befindet sich nun in dessen Kopf. Das möchte ich in einem Dreischritt erklären.
- Es gibt eine ausgeprägte Verbindung zwischen fehlenden Zielen und Passivität. Der Unternehmer hat nämlich deshalb bisher keine Ziele, weil er Ziele mit Wünschen verwechselt. Er weiß, dass Wünsche in aller Regel sowieso nicht in Erfüllung gehen. Insbesondere große Wünsche erfüllen sich schließlich nicht von selbst und auch Familie, Freunde und Partner können diese Wünsche nicht erfüllen. Wer sich etwas wünscht ist also passiv, denn er möchte etwas bekommen und bekäme es nur mit Glück. Wer wiederum auf das Glück vertraut, ist schlichtweg naiv. Naivität kann sich allerdings kein Unternehmer leisten. Ergebnis: Der Unternehmer verzichtet auf Ziele, weil es vermeintlich naiv wäre, sich welche zu setzen.
- Hat der Unternehmer hingegen echte Ziele ist er aktiv, denn er möchte etwas erreichen. Kennzeichen von vernünftigen Zielen ist (neben einigen anderen) deren Erreichbarkeit. Ziele sind, weil sie zum Erreichen Aktivität voraussetzen, gewissermaßen der produktive Gegenpol zu Wünschen. Und wo die Erfüllung von Wünschen auf dem naiven Vertrauen aufs Glück fußt, bauen Ziele auf einem anderen Fundament auf. Dem Fundament eines produktiven, iterativen Prozesses von Planung und Umsetzung einer Strategie. Erst unter dieser Voraussetzung ist ein zielgerichteter Einsatz von begrenzten Ressourcen, vor allem Zeit und Geld, sinnvoll möglich.
- Dazu wiederum braucht es aber ein klares Bewusstsein für Möglichkeiten und Grenzen der eigenen Autonomie. Und damit sind wir beim Mindset des Unternehmers. Eine Verortung zwischen den beiden Polen „Aktivität“ und „Passivität“ reicht nicht aus, es braucht ebenso den Raum zur Gestaltung.
Begrenzter Raum und gelebte Passivität bedingen sich gegenseitig
Wenn also das Problem im Mindset des Unternehmers liegt, muss man die Frage stellen, wie es denn um das Mindset des befragten, erstaunten und besorgten Unternehmers bestellt ist. Bezogen auf kleine und mittlere Unternehmen, auch in der Buchbranche, wird eines immer wieder deutlich: Solange die Unternehmer ohne Ziele arbeiten, also grundsätzlich passiv sind; solange wird es keinen Gestaltungsspielraum geben, da lediglich eine Reaktion auf Vorausgegangenes möglich scheint.
Da die Räume zur freien Gestaltung – und zur Entwicklung – als sehr begrenzt wahrgenommen werden, findet kaum eine eigeninitiative Entwicklung statt. Diese Entwicklung könnte aber erst über das Setzen eines entsprechenden Ziels initiiert werden. In einem Kreislauf aus begrenztem Raum und gelebter Passivität manifestiert sich ein Mindset, das notwendigerweise das aktive Erkämpfen von Gestaltungsspielräumen und Aktivität bei der Zielerreichung systematisch ausschließt.
Diese unproduktive Konstellation wird seitens der befragten Unternehmer als einzig mögliche und erstrebenswerte Konstellation dargestellt, weil – und hier schließt sich der Kreis – das reflektierte Setzen von Zielen mit dem naiven Formulieren von Wünschen gleichgesetzt wird.
Kurzfrist- vs. Langfristorientierung
Hinzu kommt eine weitere problematische Perspektive auf das eigene Tun. Wenn es um das Setzen von Zielen geht, wird intuitiv in chronologischer Reihenfolge vorgegangen: Bevor bspw. ein Jahres- und Fünfjahresziel gesetzt werden, werden Monats- und Quartalsziele gesetzt. Das Argument seitens der Unternehmer ist sinngemäß „First things first.“ Bevor das eine Ziel nicht erreicht wäre, mache es keinen Sinn ein (zeitlich) dahinterliegendes Ziel auch nur zu formulieren. Das ist naheliegend, aber trotzdem grundfalsch. Warum? Weil eine unhinterfragte, statische Zielhierarchie aufgestellt wird, die mit dem „iterativen Prozess von Planung und Umsetzung einer Strategie“ nichts mehr zu tun hat.
Damit bringt man unnötigerweise das Erreichen kurzfristiger Ziele statt des Erreichens nachhaltiger Ziele in den Fokus. Diese Kurzfristorientierung führt allerdings letztlich wieder an den Ausgangspunkt zurück, da sie nur ein passives Reagieren auf Vorangegangenes statt eines aktiven Gestaltens des Zukünftigen provoziert.
Zuletzt macht es keinen Sinn, tendenziell kleinere Kurzfristziele gegenüber größeren Langfristzielen zu priorisieren. Man verschenkt damit lediglich erneut und ohne Not Freiraum sowie Gestaltungsspielraum. Langfristige Ziele sind das Fundament, auf dem kurzfristige Ziele stehen, nicht andersherum. Aus langfristigen Zielen lassen sich Zwischenziele ableiten, aus Zwischenzielen wiederum kurzfristige Ziele. Derart entwickelte Ziele stehen in einem praxistauglichen, umsetzbaren und auch konfliktfreien Verhältnis zueinander.
Unterschätzen Sie nicht die Handlungsorientierung, die Ziele Ihnen geben können!
Extrapoliert man hingegen von die Langfristziele von den Kurzfristzielen her, ist ein Scheitern vorprogrammiert. Vor allem, weil bei einer isolierten Formulierung von Kurzfristzielen eher unrealistische – d.h. über- und unterambitionierte – Ziele ohne die notwendige Korrektur und Kontrastierung mit Langfristzielen gesetzt werden. Beides führt in letzter Konsequenz zu Frustration. Die Frustration wiederum führt dazu, dass die konstruktive, aktivierende und orientierende Funktion von Zielen angezweifelt wird. Damit steht man wieder am Anfang: Man reagiert auf Umwelteinflüsse als Spielball fremder Mächte, ohne unternehmerische Autonomie. Cum hoc ergo propter hoc.
Der Beitrag von konkreten Zielen zum Unternehmenserfolg wird insbesondere bei KMU häufig unterschätzt, weil das Bewusstsein für die handlungsorientierende Funktion zumeist unterausgeprägt ist. Das liegt im Wesen der überausgeprägten Passivität begründet. Wenn zudem eine stark sicherheitsbewusste Unternehmerpersönlichkeit – was keinesfalls schlecht sein muss – die Entscheidungen trifft (oder eben nicht trifft), kann eine externe Begutachtung dieser Entscheidungsprozesse eine große Menge Initialenergie freisetzen. Damit werden positive Gestaltungsspielräume sichtbar, die vorher unsichtbar waren und ungenutzt blieben.
Man muss sich immer wieder vergegenwärtigen: Kein Unternehmen ist jemals erfolgreich geworden oder aus einer Talsohle herausgekommen, indem es Passivität und Sorge zu den Ausgangspunkten seiner Philosophie und seines Selbstverständnisses erhoben hat. Das nächste Geschäftsjahr mehr schlecht als recht herumzubringen, ist zudem das schlechteste aller Ziele.
Dieser Beitrag erschien in abgewandelter Form im BuchMarkt Magazin, Ausgabe 10/2020.
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