Die Belegpflicht als existenzielle Bedrohung für KMU? Mit Sicherheit nicht!

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Bäckereien sind anders, zu Recht. Aber so anders auch wieder nicht.

Der Umweltschutz steht seit jeher im Fokus der deutschen Bäckereibetriebe, produzieren sie doch einerseits mit viel Liebe und Handwerksgeschick aus naturbelassenen Rohstoffen unverzichtbare Grundnahrungsmittel. Andererseits sind sie als herstellende Betriebe in aller Regel dazu verdammt, zur Produktion eben jener unverzichtbaren Grundnahrungsmittel enorme Energiemengen zu verbrauchen. So weit, so gut – das eine bedingt das andere: Wer ein Brot backen möchte muss dazu einen Ofen heizen.
Hinzu kommt, dass Bäcker, historisch gesehen, eigentlich immer auf eine äußerst vorausschauende Beschaffung von Rohstoffen und Energieträgern angewiesen waren. Da aber in vielen Betrieben der handwerkliche Anteil bei der Herstellung von Backartikeln abgenommen hat, im Gegenzug allerdings hinsichtlich der Beschaffungs-, Produktions- und Distributionslogistik eine an Industriestandards heranreichende Effizienz Einzug gehalten hat, ist etwas Erstaunliches passiert: Innerhalb weniger Generationen von Bäckern ist das vorausschauende Denken, die zeitnahe und pünktliche Erfassung und Bewältigung von Herausforderungen völlig aus dem Dunstkreis ökonomischer Erfordernisse verschwunden!
Dies zeigt sich gegenwärtig in der Art und Weise, wie im direkten Vorfeld – denn das entsprechende Gesetz wurde mit drei Jahren Vorlauf bereits im Jahre 2016 auf den Weg gebracht – der zwingenden Umsetzung der Kassensicherungsverordnung auf eben jene reagiert wird. Hier zeigt sich die ausgeprägte Janusköpfigkeit in der Argumentation einer ganzen Industrie und ihrer Akteure, hier zeigen sich kognitive Dissonanzen in ihrer sichtbarsten Erscheinungsform, hier tritt lehrbuchkonform eine Entscheidungsparalyse ins Licht der öffentlichen Wahrnehmung.

 

Janusköpfigkeit, kognitive Dissonanzen, Entscheidungsparalyse. So kann es nur schiefgehen.

Die Janusköpfigkeit zeigt sich im Sinne einer völlig idealisierten und gleichzeitig nostalgischen Darstellung der Bäcker in der Öffentlichkeit. Hier wird bei der Mobilisierung einer öffentlichen Meinung gegen jahrelang beschlossene politische Maßnahmen auf der einen Seite die übermäßige Belastung einer Belegausgabepflicht für die kleinen Bäckereien beschworen, auf der anderen Seite die in ihrer Gesamtheit vermeintlich horrenden Ausgaben für einen durchschnittlichen Bäckereibetrieb mit 100.000 Kunden pro Jahr und Verkaufsstelle herangezogen. Hier passt etwas nicht zusammen. Dass die Umsetzung der KassenSichV für keinen, weder den Bäcker an der Dorfplatzecke noch seinen großen Bruder im Hauptbahnhof der Großstädte, zumutbar sei, wird mehr als deutlich. Problematisch ist in diesem Kontext jedoch das Argumentationsmuster: dass nämlich Zustände je nach situativem Kontext anders angeordnet werden, um ein Maximum an Wirkung gegenüber den politisch und ökonomisch Uneingeweihten, letztlich den Bäckereikunden, zu entfalten. Das ist unaufrichtig allen beteiligten Parteien gegenüber. Im Sinne einer gelungenen Öffentlichkeitsarbeit eines Branchenverbands würde doch idealerweise erst einmal intern geklärt und anschließend extern kommuniziert werden, welche Persona eigentlich im Zentrum der Kommunikationsmaßnahme steht: Der lokale Handwerksbetrieb oder der nationale Filialist?

 

Kognitive Dissonanzen in der Außendarstellung

Die kognitiven Dissonanzen treten – vom Zentralverband des deutschen Bäckerhandwerks e.V. allerdings völlig unbemerkt – in der Argumentation gegen die KassenSichV deutlich zutage. Dieser argumentiert im Namen seiner Mitglieder wie folgt: In Zeiten, in denen der öffentliche Diskurs von Themen zu ungenügendem Umweltschutz, zeitgleich übermäßigem Ressourcenverbrauch und darausfolgenden Untergangsszenarien dominiert wäre, dürfe man als politischer Entscheidungsträger schichtweg keine Entscheidung mehr treffen, die eine Steigerung eines wie auch immer gearteten Ressourcenverbrauchs nach sich ziehe. Dem Kunden auch ohne seine ausdrückliche Aufforderung einen Kaufbeleg zur Verfügung zu stellen, ließe sich mit der öffentlichen Meinung sowie Wahrnehmung und vor allem mit der politischen Agenda nicht zusammenbringen. Unabhängig davon, dass die alarmistischen Berechnungen bezüglich des zusätzlichen Ressourcenverbrauchs und der entstehenden Kosten jeder ernstzunehmenden Grundlage entbehren, muss allerdings eine Frage erlaubt sein: Welchen Anteil an der Gesamtökobilanz eines Bäckereibetriebs hat ein zusätzliches Stück Thermopapier pro Kunde; 12 Zentimeter lang (der Verband spricht übrigens von 20 Zentimeter pro Bon) und circa 1 Gramm schwer? Sind die daraus resultierenden zusätzlichen Umweltbelastungen nicht anderweitig kompensierbar, etwa über Effizienzsteigerungen in der Herstellung?

Man hätte übrigens statt manipulationssicherer Kassen und verpflichtender Belege für die 61.000 Verkaufsstellen auch weitreichende Kontrollen und Umrüstungen von Energieeffizienzprogrammen sowie Produktionstechniken verfügen können um die schlechte Energiebilanz der Backwarenindustrie insgesamt zu verbessern. Die Politik hätte auch zwingend notwendige Dokumentationen zu Rohstoffverbrauch, Warenausschuss und vor allem Warenwegwurf politisch durchsetzen können. Oder eine zwingende Abgabe unverkaufter Waren an gemeinnützige Organisationen einführen können. Da ist eine ganze Menge denkbar. Mit Blick auf die Wettbewerbsfähigkeit der einzelnen Betriebe und zur Erfassung der schwarzen Schafe in diesem so wichtigen Handwerk ist die Politik hingegen einen (für die Beteiligten) umständlichen, aber dennoch völlig vernünftigen Weg gegangen.

 

Entscheidungsparalyse oder: Das Kaninchen vor der Schlange

Die Entscheidungsparalyse wiederum – das heißt, dass bewusste Nicht-Treffen von Entscheidungen angesichts drohender Herausforderungen aufgrund von zu vielen Entscheidungsmöglichkeiten und deren Folgen – zeigt ihr Gesicht in Form der offensichtlich mangelhaften Vorbereitung zur Umsetzung einer seit Jahren bekannten Maßnahme. Seit September 2016, spätestens seit Beginn des Jahres 2017 war allen Betroffenen der KassenSichV klar, das mit Beginn des Jahres 2020, nach Ablauf einer politisch initiierten Schonfrist(!) – eben jene KassenSichV auch in Kraft treten würde.
Passiert ist im Vorfeld wenig, nahezu nichts. Man hat hoch gepokert, auf die Ausnahmeregelung zur Umsetzung bei Unzumutbarkeit für die wirtschaftliche Zukunft von Betrieben spekuliert. Zwar war das ein verständlicher, dennoch bereits riskanter Schachzug. Spätestens nachdem in der zweiten Jahreshälfte 2019 seitens der Politik immer wieder öffentlichkeitswirksam gesagt wurde, dass diese Klausel (wenn überhaupt) erst nach der Einführung der KassenSichV und der anschließenden Prüfung in der Realität des Geschäftsalltags zur Anwendung kommen würde, hätte man einerseits Druck, aber andererseits auch noch Zeit gehabt, das Ganze in konstruktive Bahnen zu lenken. Man hätte sich mit Kassenanbietern zusammensetzen können, mit Vorgesetzten, Geschäftsführern und Vorständen – vielleicht sogar mit Mitarbeitern, zu allem Überfluss vielleicht sogar mit den Kunden – sprechen können! Man hätte überlegen können, wie die Verpflichtung zur Belegausgabe, die übrigens keinesfalls auf dem vielbeschworenen und -verdammten Thermopapier stattfinden muss, zur Kundenbindung hätte genutzt werden können. Man hätte überlegen können, ob sich aus der Herausforderung nicht auch Chancen ergeben können. Man hätte so vieles tun können – und die zahlreichen Möglichkeiten hätten den Entscheidern und Verantwortlichen in den Sinn kommen müssen, sonst sollten sie an anderen Stellen wirken –, aber man blieb untätig und sah der Welle beim Zurollen auf den Strand des Geschäftsalltags zu.
Nun beruft man sich in letzter Verzweiflung darauf, dass auch die Kunden den Beleg gar nicht wollten. Nur ein Bruchteil nähme den Beleg auch auf Nachfrage überhaupt mit. Dazu zwei ernst gemeinte Fragen: Wen überrascht das? Welche Rolle spielt das? Denn wir wissen erstens alle aus tagtäglicher Erfahrung, dass staatliche Maßnahmen zur Eindämmung von Steuerbetrug im vermeintlich kleinen Rahmen von Betroffenen und Bürgern nur in den seltensten Fällen goutiert werden. Und zweitens wissen wir auch aus tagtäglicher Erfahrung, dass eine Passung von Fiskalgesetzgebung und Realitätswahrnehmung im Rahmen eines bürokratischen Prozesses nicht Voraussetzung, sondern Ziel eben dieses Prozesses ist.

 

The New Claim: Lieber Einfaches kompliziert als Kompliziertes einfach machen.

Zuletzt würden schon einfachste Maßnahmen helfen, die Zahl der im Geschäftsmülleimer verbleibenden Belege zu minimieren (was übrigens bei aller medienwirksamen Hysterie nicht das Ziel sein darf!). Bspw. indem man, quelle surprise, dem Kunden den Beleg ungefragt gibt oder ihn äquivalent zu den Zeiten, als es noch ungefragt Tüten im Textileinzelhandel gab, in die ohnehin gereichte Tüte legt. Oder anderweitig Mitnahmeanreize schafft über Treueboni, Rabattgutscheine oder Ähnliches. Oder, verrückt im 21. Jahrhundert, auch nur ernsthaft in Betracht zieht, die enormen Potenziale einer elektronischen Belegübermittlung zu nutzen. Oder, oder, oder…
Das nun zu initiieren, also gewissermaßen den ersten Schritt zur sinnvollen Umsetzung der KassenSichV nach dem zweiten Schritt, nämlich deren Einführung, machen zu wollen ist notwendigerweise erheblich schwieriger als wenn man es anders herum gemacht hätte.

 

Warum so wenig kritische Fragen an die Verantwortlichen?

Zuallerletzt müssen sich die Verantwortlichen vielleicht auch kritische Fragen gefallen lassen, sowohl auf Verbands- wie auch Betriebsebene. Nämlich ob denn bspw. eine dachverbandsinitiierte Passivität gegenüber Entscheidungen der Legislative tatsächlich ratsam ist – oder einfach nur bequem? Oder ob denn die Bemühung von Kundenpräferenzen als Argument gegen eine sinnvolle fiskalpolitische Maßnahme angebracht ist? Oder ob denn das tagesaktuelle Totschlagargument des Klimaschutzes bei der Einführung einer Dokumentationspflicht von Kaufvorgängen zum Zwecke der Herstellung gesteigerter sozialer Gerechtigkeit überhaupt zulässig ist?

Aus Perspektive eines Unternehmensberaters sieht man hier allerdings nicht nur die akuten Probleme, sondern zu allem Übel auch noch die verpassten Chancen. Wieviel Vorsprung vor anderen Marktteilnehmern hätte man sich mit der Konsultation einer externen Beratung sichern können, von wie vielen Modellprojekten aus anderen Branchen ohne Einsatz von Betriebsmitteln profitieren können und vor allem, wie viel besser hätte sich eine deutsche Traditionsbranche in der öffentlichen Wahrnehmung positionieren können?
All dies ist mehr als schade und betrifft letztlich – das darf man keinesfalls vergessen – nicht nur die deutschen Bäckereibetriebe! Vielmehr lässt sich hier ein hochgradig gefährlicher unternehmerischer Reflex beobachten, in dessen Zuge sicherlich auch einige der Marktteilnehmer auf der Strecke bleiben werden. Und das wäre verhinderbar gewesen.

Vielleicht bleibt auch alles, wie es ist – siehe Dieselskandal und Mindestlohn, siehe aber auch Gurtpflicht und Frauenwahlrecht – dann würde sich ein weiteres Mal bewahrheiten, was eigentlich Weltwissen sein sollte: Alarmismus sorgt zwar für Öffentlichkeit, darf aber keinesfalls Wahrheit für sich beanspruchen.

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