„Dafür haben wir keine Zeit!“
Sie haben nun erfahren, wieso der Satz „Das geht nicht, wir haben dafür kein Budget“ in 99% aller Fälle, in denen er geäußert wird, nichts anderes ist als eine Ausrede. Damit haben wir eine der beliebtesten Ausreden für die Verhinderung von unternehmensinternen Veränderungsprozessen beleuchtet. Zugleich funktioniert diese Ausrede allerdings auch hinsichtlich jeder Vertriebs- oder Akquiseaktivität als abschließendes Todesurteil. Jeder, der mit dieser Facette des unternehmerischen Daseins zu tun hat, kennt diese Ausrede zu Genüge…
Aber: Bloß weil diese Ausrede die beliebteste, die wirksamste und die häufigste Ausrede ist, ist sie noch lange nicht die einzige. Nein, ganz im Gegenteil: Es schwirren hunderte von weiteren, ähnlich wirksamen und beliebten Ausreden durch den Äther. Einer davon möchten wir uns hier im Besonderen widmen: „Das geht nicht, dafür haben wir keine Zeit!“
Wieso sollten wir dieser Ausrede solche Aufmerksamkeit widmen? Warum sollten wir überhaupt unsere Zeit damit verbringen, auch diese Ausrede im Detail zu zerlegen? Ganz einfach. Weil diese Ausrede so tiefgreifende Organisationsprobleme innerhalb eines Unternehmens und so tiefgreifende Verständnisprobleme einzelner Akteure innerhalb dieses Unternehmens offenbart, dass sie keinesfalls ignoriert werden darf. Denn grundsätzlich gilt: Wie soll man jemals die Zeit haben, wenn man sich niemals die Zeit nimmt? Keine Zeit zu haben oder sich keine Zeit zu nehmen sind schließlich doch zwei sehr unterschiedliche Dinge. Auch wenn diejenigen, die diese Ausrede nutzen häufig so tun, als seien beide Dinge das Gleiche…
Keine Zeit für Verbesserung? Dann kann es einem nicht leid tun…
Warum aber ist diese Ausrede so gefährlich? Dafür sollten wie uns zuerst vergegenwärtigen, was der eigentliche Subtext dieser Aussage ist. Man hat keine Zeit…? Nehmen wir dafür einen Augenblick an, Sie wenden sich (mit welchem Anliegen auch immer, egal wie niedrigschwellig es ist) an jemanden. Sie haben damit immer ein Problem. Warum? Jedes Mal, wenn Sie mit einem Anliegen auf jemanden zukommen, halten Sie diesen Jemand davon ab, seinen eigenen Anliegen nachzugehen. Sie beanspruchen ihn also in dem Augenblick, wo er selbst bereits beansprucht ist.
Nun bleiben mindestens zwei Möglichkeiten der Reaktion für diesen angesprochenen Jemand:
- Könnte er sein eigenes Anliegen abbrechen und sich Ihrem Anliegen widmen oder
- er könnte Ihr Anliegen ignorieren und sich weiterhin seinem eigenen Anliegen widmen.
Beides zusammen geht schlichtweg nicht. Sagt die von Ihnen angesprochene Person nun, dass sie keine Zeit für Ihr Anliegen hat, wählt sie folglich Reaktion 2. So weit, so gut.
Im Moment der Nachfrage kollidieren Gegenwart und Zukunft
Warum aber tut diese Person das? Das ist die entscheidende Frage. Egal, wie man es dreht und wendet, der kleinste gemeinsame Nenner der Antwort ist immer der Gleiche. Die Person schätzt ihr eigenes Anliegen aktuell und zukünftig wichtiger ein als Ihr Anliegen. Je nach Konstellation ist es allerdings hochgradig unhöflich und für die Zukunft unproduktiv, Ihnen das auch genau so zu sagen.
Denn auch in Unternehmen gibt es gewisse Spielregeln, Verhaltensweisen und Erwartungshaltungen. Da die Interaktionen innerhalb des Unternehmens in der Regel zwischen Individuen stattfinden leuchtet das ein. So sollen Antworten nicht unhöflich und unproduktiv sein, sondern sollen den Maximen der sozialen Erwünschtheit folgen. Sollen unangenehme Antworten auf bestimmte Fragen allerdings den Maximen der sozialen Erwünschtheit entsprechen, bleibt dem Antwortgeber in diesem speziellen Falle aber nur wenig Spielraum. Er kann Ihnen nicht einfach sagen, dass sein Anliegen wichtig ist und Ihres nicht. Deshalb bleibt dem Antwortgeber nur der Rückzug auf neutrales Terrain.
Es geht um Wichtigkeit, nicht um Zeit!
Er wird also nicht die Qualität Ihres Anliegens im Verhältnis zu seinem eigenen Anliegen bewerten, sondern die Anliegen in Beziehung zu einem quantitativen, vermeintlich objektiven Maßstab setzen. Als objektiver Maßstab bietet sich „Zeit“ an, denn sie ist für alle beteiligten Akteure gleich. Sie lässt sich nicht dehnen oder verändern. Zeit ist einfach da und sie ist zudem eine (für jeden einsehbar) begrenzte Ressource. Diese Konstellation prädestiniert die Zeit wiederum dazu – wenn sie denn vermeintlich fehlt – als Ausrede herzuhalten.
Vergegenwärtigen wir uns aber ergänzend etwas anderes. Wenn es eigentlich nicht um den quantitativen Maßstab, die Zeit, geht: Worum geht es dann? Wir haben schon festgehalten, dass es um eine qualitative Bewertung Ihres Anliegens geht. Das bedeutet letztlich, dass jemand Ihr Anliegen als qualitativ geringwertiger als dessen eigenes Anliegen einschätzt. Was aber tut er damit?
Denn man darf nicht vergessen, dass auch Sie(!) bereits eine Bewertung Ihres Anliegens vorgenommen haben. Sie sind bei der Bewertung zu dem Urteil gekommen, dass Ihr Anliegen einen Abbruch des Anliegens des anderen durchaus rechtfertigen würde. Sonst wären Sie ja schließlich nicht mit Ihrem Anliegen zu der anderen Person gegangen. Hier wird es spannend! Denn letztlich jeder von Ihnen beiden verfügt über den gesicherten Eindruck, das jeweils wichtigere Anliegen zu haben.
Ihr Kollege wird also nicht die Qualität Ihres Anliegens im Verhältnis zu seinem eigenen Anliegen bewerten, sondern die Anliegen in Beziehung zu einem quantitativen, vermeintlich objektiven Maßstab setzen. Als objektiver Maßstab bietet sich die Zeit an.
Entscheidungen trifft der Statushöhere
Wie entscheidet sich nun, wer diesen unter dem Deckmantel der sozialen Erwünschtheit ausgefochtenen Kampf gewinnt? Entscheiden tut an dieser Stelle der Status der beiden Personen. Denn die Spielregeln und Erwartungshaltungen innerhalb eines Unternehmens besagen deutlich, dass der Statushöhere das vorrangige Recht besitzt, die Qualität von Einzelanliegen zu bewerten und beurteilen. Es ist ganz klar, dass der Höherrangige die Entscheidungshoheit und das letzte Wort hat. Und da er diese Entscheidungshoheit hat, sagt er Ihnen – codiert über die Aussage „Dafür habe ich keine Zeit“ –, dass er den höheren Status besitzt. Andersherum funktioniert diese Kommunikation einfach nicht, oder nur sehr eingeschränkt mit größten Schwierigkeiten. Wer also glaubt, es ginge um Argumente, Vernunft und gemeinsame Ziele, der täuscht sich (zumindest bei dieser Ausrede) gewaltig.
Dies zu den Verständnisproblemen einzelner Akteure und zur Erklärung, worum es bei Ausreden im Kern eigentlich geht.
Belastung, Auslastung, Überlastung: die großen Drei…
Aber kommen wir nun auf den erstgenannten Punkt zurück, die tiefgreifenden Organisationsprobleme innerhalb eines Unternehmens. Lassen Sie uns ähnlich vorgehen und schauen, was eigentlich dahinter steckt, wenn in Organisationen wie Unternehmen „zu wenig Zeit“ vorhanden ist und warum das eben kein Zeichen von guter Organisation ist – im Sinne von einer sinnvollen Auslastung der zur Verfügung stehenden Ressourcen – sondern warum das ein Zeichen von äußerst schlechter Unternehmensorganisation ist.
Dazu muss am Beginn klargestellt werden, dass eine Organisation an sich natürlich niemals irgendetwas tut: Etwas tun können nur die Individuen innerhalb dieser Organisation, d.h. die Mitarbeiter oder der Inhaber des Unternehmens. Somit ist mangelnde Zeit auf der übergeordneten Organisationsebene immer ein Symptom der mangelnden Zeit auf untergeordneter Ebene. Mangelnde Zeit im Unternehmen ist das Symptom mangelnder Zeit von Menschen! Diese ist das eigentliche Problem.
Aber diesem Problem liegen dennoch strukturelle Fehlentscheidungen zugrunde, relevante Stichworte sind hier: „Arbeitsbelastung“, „Arbeitsauslastung“ und letztlich „Arbeitsüberlastung“. Sollte es also ein Unternehmen als Ganzes keine Zeit für die Umsetzung bestimmter Projekte haben, befinden wir uns nicht mehr im Bereich der Be- und Auslastung, sondern ganz offensichtlich im Bereich der (gefühlten) Überlastung.
Ein Beispiel aus dem Berateralltag
Nehmen wir dafür ein Beispiel aus meinem Berateralltag: Man sitzt dem Eigentümer eines Unternehmens gegenüber, mit ihm zusammen wurde eine Teilstrategie in einem bestimmten Unternehmensbereich entwickelt, er ist begeistert und die ganze Sache ist aus seiner Perspektive heraus auch erfolgsversprechend. Die Umsetzung dieser Teilstrategie dient der Verbesserung der Unternehmenssituation. Nichtsdestoweniger sagt derselbe Unternehmer, dass für die detaillierte Ausarbeitung und praktische Umsetzung dieser Teilstrategie derzeit keine zeitlichen Ressourcen zur Verfügung stünden. Die entsprechenden Mitarbeiter, Führungskräfte und vor allem er seien selbst durch das Tagesgeschäft vollkommen absorbiert. Was soll man dazu sagen?
Die Organisationsprobleme werden hier in zwei Feldern deutlich: Zum einen im Bereich der Pufferplanung und zum anderen im Bereich des Rollenverständnisses des Unternehmers. Wir widmen uns hier lediglich der fehlenden Pufferplanung, da einige Facetten eines falschen unternehmerischen Rollenverständnisses bereits an anderer Stelle ausführlich zur Sprache kamen.
Die unterschätzte Pufferplanung oder warum Vollauslastung keine gute Sache ist
Die Pufferplanung: Sie verfolgt einen simplen Zweck, den viele Unternehmer, aber auch Angestellte im mittleren und höheren Management aufgrund unternehmensinterner Rahmenbedingungen und Vorgaben ihrerseits nicht verfolgen können und wollen: nämlich die Möglichkeit zur Fortführung einer wie auch immer gearteten Produktion – trotz eines zeitweiligen Ausfalls von Zuliefererstrukturen oder einer abrupten Nachfragesteigerung. Zwar ist jedem Akteur bewusst, dass ohne allzeit vorrätige Reserven nicht auf plötzlich auftretende Unvorhersehbarkeiten und Belastungsspitzen reagiert werden kann, dieselben Akteure wissen aber auch, dass eine effiziente Führung und Ressourcennutzung eben möglichst wenig Reserven bereitstellen soll. Das wiederum liegt – in aller Kürze – daran, dass jede Art von ungenutztem Puffer irgendeine Art von Ressource bindet, die nicht mehr an derer Stelle eingesetzt werden kann. Nicht zuletzt führt jede Art von Puffer zu weiteren Kosten, da immer auch eine Art von Pufferlogistik vorgehalten werden muss (Lager, Transportwege etc.).
Das Puffer-Dilemma
Der Verantwortliche befindet sich somit in einem permanenten Dilemma: Er möchte und müsste Puffer vorhalten, kann und darf es aber nicht immer tun. Denn vorgehaltene Puffer mindern vermeintlich die Effizienz, aber sichern letztlich den Durchsatz… Hinzu kommt, dass viele Verantwortliche bei Puffern eher an materielle, denn an immaterielle Puffer denken. Sie halten bspw. eher bestimmte Rohstoffe vor als die Arbeitszeit von Mitarbeitern.
Warum? Weil die Mitarbeiter ohnehin da sind. Und wenn die Mitarbeiter ohnehin für acht Stunden am Tag da sind und für acht Stunden Arbeit am Tag bezahlt werden, dann macht es Sinn, diese acht Stunden am Tag auch entsprechend zu verplanen, oder? Eben nicht. Angesichts der Tatsache, dass nämlich materielle und immaterielle Puffer ähnlich wichtig sind, ist diese Argumentation gefährlich. Sie führt nämlich dazu, dass – wo soll sie auch herkommen – in Unternehmen keine Zeit mehr vorhanden ist, um auf neue Herausforderungen zu reagieren, wie sie bspw. aus Transformationsprozessen (die wiederum auf den externen Impulsen von bspw. Beratern gründen) resultieren. Das ist vollkommen klar.
„Keine Zeit“ bedeutet lediglich: „Ich kriege es nicht hin“
Die Ausrede, es sei also keine Zeit zur Verwirklichung von bestimmten Projekten vorhanden, fußt häufig auf einem ungenügenden Management für immaterielle Puffer. Dieses Missmanagement fußt letztlich auf einer fehlgeleiteten Unternehmens- und Führungskultur, die die notwendige Unterscheidung zwischen Belastung, Auslastung und Überlastung unnötiger und gefährlicher Weise zu nivellieren versucht. Das Problem – und vor allem dessen Folgen – sind somit absolut hausgemacht und haben mit den realen Gegebenheiten nichts zu tun.
Es ist egal ob es sich um Produktionsbetriebe oder Dienstleistungsunternehmen handelt. Eine interne Organisation und Verteilung von Ressourcen, die sich an der Erreichung lokaler Optima orientiert, ist eine falsche Organisation, die sich ohne Not jede Flexibilität und Reaktionsfähigkeit genommen hat.
Die Ausrede, es sei also keine Zeit zur Verwirklichung von bestimmten Projekten vorhanden, fußt häufig auf einem ungenügenden Management für immaterielle Puffer.
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